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Nachruf auf Prof. Hermann Scherzer

9. Mai 2023

24. März 1926 – 16. April 2023

Mit 97 Jahren ist Prof. Hermann Scherzer am 16.04.2023 in Nürnberg verstorben. Er war 64 Jahre Mitglied im BDA, seit Oktober 1996 war er Ehrenmitglied im BDA Landesverband Bayern.

Ich persönlich begegnete Hermann Scherzer das erste Mal als kleines Kind. In den 1970er und 1980er Jahren kam er regelmäßig ins Haus meiner Eltern, um als Professor der Nürnberger Fachhochschule seinen Studenten das von ihm entworfene Haus zu erklären. Ein Winkelhofhaus, als Teil einer Siedlung in Nürnberg Langwasser. Als Wohnhaus für eine Familie nicht groß, aber großzügig, durch Aus- und Durchblicke, den kleinen geschützten Garten in das Haus räumlich mit einbeziehend. Unterschiedliche Raumhöhen an der richtigen Stelle, ohne überflüssigen Dekor richtig und funktional konstruiert, die Räume gut zueinander zoniert. Hohe Qualitäten eines Wohnhauses, mit einfachen Mitteln erreicht. Viele Jahre später begegneten mir diese intelligenten Häuser auch im Studium an der Technischen Hochschule München bei Prof. Hermann Schröder. Als Student verstand ich dann, in welch besonderen Haus ich aufgewachsen durfte.

Sein Tod macht nicht nur mich sehr betroffen, die Gespräche über seinen Tod mit vielen Kollegen sind stets geprägt von hohem Respekt, Bewunderung und Ehrfurcht vor der enormen Lebensleistung von Hermann Scherzer.

Die Beschreibung seines über Generationen dauernden Wirkens als Mensch, Hochschullehrer und Architekt war mir persönlich nicht vollständig möglich, sodass ich gerne auf den sehr schönen Text von Prof. Hans Peter Haid zurückgreife, den er anlässlich des 95. Geburtstags von Hermann Scherzer verfasste:

„Der Nürnberger Architekt und Hochschullehrer war landesweit für die Architektur und den Berufstand engagiert. Heute blickt er auf ein erfülltes Leben zurück. Wenn er mit Besuchern in seinem „Kalbs-Garten“ – ein von ihm entwickelter Geschosswohnungsbau am östlichen Stadtrand – in der Loggia sitzt und die Blicke im Frühjahr über das Meer von Narzissen an der Pegnitzaue schweifen, wirft er gern Fragen nach Form, Gestalt, Proportion, Farbe, Natur und Umwelt auf. Eine perfekte Harmonie entdeckte er nämlich in der Geometrie der Blüte. Und überhaupt sind ihm, dem rationalen Denker, die Geometrie, Maß und Zahl wichtig. Mit wachem Blick beobachtete er einst Veränderungen der Umgebung, führte sie in der Diskussion als Antipode zu seinen Werken ein und griff, um seine Thesen zu unterstützen, gelegentlich zu einem Buch in seiner Bibliothek.

Die Natur, so scheint es, gab H. S. – wie seine Chiffre lautet – die Kraft zu skizzieren, zu aquarellieren, als Inspiration für die hohe Anzahl von Entwürfen, den beruflichen Tätigkeiten als Stadtplaner, Dorferneuerer, Architekt, Denkmalpfleger und Architekturlehrer bis ins hohe Alter. Ihm war das Skizzieren, Planen und Entwerfen gewissermaßen in die Wiege gelegt, wie das Standardwerk „Franken“ seines Großvaters Conrad Scherzer und die Kunsterzieher in seiner Familie belegen.

Nach seiner Rückkehr als junger Soldat aus der Kriegsgefangenschaft orientierte sich der Abiturient des letzten Kriegsjahres als Zeichner und Maurergeselle, um 1948 das Architekturstudium an der Ingenieurschule Augsburg zu beginnen und 1953 an der TH München abzuschließen.

Nach studienbegleitenden Praktika und vier Berufsjahren bei dem renommierten Stadtplaner Reichel (Gartenstadt Langwasser), gründete er nach einem Wettbewerbserfolg mit seinem jüngeren Bruder Gerhard das Architekturbüro G+H Scherzer in Nürnberg.

Seine intensive Beobachtungsgabe, sein scharfsinniger Intellekt, sein Talent zum Zeichnen und die angeeigneten handwerklichen Kenntnisse vom Bauen, wuchsen zu einer überzeugenden Symbiose heran. Mit der erfahrenen Architektursprache an der TUM als Döllgast-Schüler entwarf und plante er zeichenhafte Gebäude unterschiedlicher Typologien wie Schulbauten, Verwaltungsbau, Gewerbe- und Industriebau sowie Wohnbauten. Den Trends der Architektur ist H. S. nicht mit architekturtheoretischen Aufsätzen begegnet, sondern er suchte Perspektiven des Möglichen für seine Auftraggeber, nach deren funktionalen Bedürfnissen, mit Konstruktionsweisen und Material durch geistige Verarbeitung. Die öffentlichen Bauherren und ihre Verantwortlichen ermöglichten ihm Experimente mit neuen Werkstoffen. Er überzeugte sie und seine Kunden als Professor mit brillanten Präsentationen und Vorträgen über seine Idee und sein Werk.

Zunehmend widmete sich das Architekturbüro mit loyalen Partnern dem Städtebau, der Stadt- und der Dorferneuerung. Das Arbeitsgebiet weitete sich um Ortsplanungen und informelle Planungen. Bei circa 80 Wettbewerben erzielte das Architektenteam um G+ H Scherzer circa 40 Preise und Anerkennungen.

Bereits in den 1960er Jahren strebten die Brüder Scherzer nach der Architekturlehre an das Georg Simon Ohm Polytechnikum. Ihr Ziel, die berufliche Tätigkeit mit architekturtheoretischem Wissen systemisch zu untersetzen, war ihnen ein Anliegen, ebenso wie das Wissen über Planen von Gebäuden und Baukonstruktionen hinaus zu erweitern und in den Kontext des Städtebaus zu stellen.

Das Fach Städtebau mit Bauleitplanung wurde fortan den „Hochbau-Studenten“ vermittelt. Die Bildungsreform und Hochstufung der Polytechnika zu Fachhochschulen in Bayern, wurde in den Jahren 1971/72 maßgeblich von H. S. beeinflusst. Er gestaltete das Curriculum der Architektenausbildung zunächst in der Rahmenplankommission für die Bayerischen Fachhochschulen und danach in zwei Perioden als Dekan des Fachbereichs Architektur bis 1988. Die praxisorientierte Lehre war ihm dennoch ein großes Anliegen zur gleichwertigen, aber andersartigen Ausbildung – im Gegensatz zu universitär ausgebildeten Architekten.

Seine Liebe zu Franken spiegelt sich besonders in der Gründung des Vereins „Fränkisches Freilandmuseum 1975“ in Bad Windsheim wider. Durch die erkannten Verluste bei fortschreitender „Dorferneuerung“ in den 1970er Jahren war es ihm Gebot, die baukulturellen Werte der Vergangenheit zu sichern. Er gründete mit Unterstützung der Politik den Verein für das Freilichtmuseum mit seinem heute volkskundlichen, sozialwissenschaftlichen, baukulturellen Bestand. Dessen Entwicklung begleitete er jahrzehntelang.
Seine Berufungen in Preisgerichte, Berufsverbände, in regionale Beiräte der Baukunst, in Landes- und Regionalausschüsse, in die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung sind Ausdruck von besonderer Wertschätzung seines Fachwissens und seiner Persönlichkeit durch Politik und Wirtschaft. Seine profunden Kenntnisse und Erfahrungen waren bei Institutionen und Organisationen hochgeschätzt. Sie aufzuzählen, würde den Rahmen der Würdigung des Jubilars heute sprengen.
Neben den Anerkennungen, die Ehrenmedaille der GSO-Hochschule, dem Ehrenbrief des Bezirks Mittelfranken, das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland 1994, ist das 2006 verliehene Bundesverdienstkreuz eine ihm gebührende Auszeichnung für sein berufliches Wirken und für seine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Als Persönlichkeit mit unermüdlichem Einsatz für den Berufstand im Allgemeinen, und dem Bund Deutscher Architektinnen und Architekten im Besonderen sowie als Hochschullehrer wird H. S. von vielen ausgebildeten Architektengenerationen und Kollegen hochgeschätzt.

Wenn sein Rat gefragt war, hat er sich mit Leidenschaft dem Thema gewidmet, nie hat er sich aufgedrängt. Er handelte respektvoll nach dem Prinzip: „Anerkannte Werke sind nie die Leistung einer einzelnen Person, aber ohne einen Verantwortlichen, einen Mentor für diese Tat gäbe es das Werk nicht.“

Die Attribute: sach- und fachkompetent, abwägend und scharfsinnig, suchend nach Objektivität, unaufdringlich und beständig, zuvorkommend und gebildet, freundlich und humorvoll sind ihm in hohem Maß zuzuordnen. Der (Her) Mann hat Stil.

Inzwischen schränken die Spuren des Alterns seinen Wirkungskreis ein, aber er meistert seinen Alltag mit familiärer Unterstützung in seinem Wohnumfeld, einem Spätwerk seines freiberuflichen Schaffens.“

Meine Eltern wohnen immer noch in dem gleichen Haus in Nürnberg-Langwasser. Die gesamte Siedlung und auch die Häuser selbst funktionieren nach 50 Jahren immer noch sehr gut, auch für die nun dort lebenden rüstigen Senioren. In den ersten Häusern sind auch wieder Familien mit Kindern eingezogen. Nachhaltigkeit nennt man das heute. Oder einfach nur: „Gute Architektur“.

Danke, an Hermann Scherzer auch dafür.

Andreas Grabow,
Kreisvorsitzender des BDA Nürnberg-Mittelfranken-Oberfranken