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Das Haus der Erde. Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land

19. August 2019

Angesichts des fortschreitenden Klimawandels hat der 15. BDA-Tag in Halle (Saale) am 25. Mai 2019 zu einer Diskussion über geänderte politische Rahmenbedingungen, über die verantwortliche Haltung von Architektinnen und Architekten und über ein neues gesellschaftliches Narrativ eingeladen. Schließlich hat der BDA-Tag das BDA-Positionspapier „Das Haus der Erde“ beschlossen.

Das Positionspapier steht auch unten zum Download als PDF bereit.

„Planet Home“:  This manifesto in English translation

Prolog

Der Traum vom ewigen Wachstum ist geplatzt.
Reduktion ist keine modische Attitüde, sondern Überlebensnotwendigkeit.
Ökologisches Umsteuern braucht Ideen und Kreativität.

Was wollen wir hinterlassen? Wir haben nur diese eine Welt. Für ihren Erhalt tun auch wir als Architektinnen und Architekten, als Stadtplanerinnen und Stadtplaner zu wenig.

Dabei ist unsere Vorstellungskraft, unsere Phantasie zur Beantwortung der Frage, wie wir zukünftig leben wollen, von großer Bedeutung. Diese Zukunft gestalten wir jetzt. Eine Konzeption von Städten, Infrastrukturen, Wohnhäusern, Fabrikations- und Bürogebäuden entscheidet, ob Menschen ihr Leben besser in Einklang mit der Umwelt bringen können. Architekten und Stadtplaner sind Impulsgeber, und ihre gebauten Werke können Katalysatoren für ein Umdenken sein.

Vor zehn Jahren haben Architekten, Stadtplaner und Ingenieure mit dem Klimamanifest „Vernunft für die Welt“ eine Selbstverpflichtung formuliert, um gemeinsam mit Bauindustrie und Bauherren einen ökologischen Wandel im Planen und Bauen zu erreichen (www.klima-manifest.de).

In den vergangenen zehn Jahren wurden zwar Veränderungen erreicht, doch die Erfordernisse des Umweltschutzes wurden allenfalls an der Oberfläche berührt. Dies ist auch Ergebnis einer stillschweigenden Rollenverteilung, wonach von der Politik Rahmenbedingungen erwartet werden, eigenverantwortliches Handeln darüber hinaus aber ausbleibt. Eine Kombination aus milder Zerknirschung, Besorgnis um den eigenen Status und mangelndem Mut für eine radikale Änderung unserer Lebenswirklichkeit, die immer noch vom Wachstumsgedanken getrieben wird, stößt – seit langem – an Grenzen.

Wir müssen mehr tun, um der Verantwortung unserer Profession und der Relevanz von Architektur angesichts der Klimakrise gerecht zu werden. Natürlich werden wir alleine die Welt nicht retten. Unsere Mitverantwortung für die globalen Auswirkungen des stetig steigenden Ressourcenverbrauchs fordert uns jetzt als Vorreiter einer klimagerechten Architektur. So können wir ein Umdenken im größeren Kontext initiieren.

Neben den ökologischen werden auch die sozialen Folgen des Klimawandels immer deutlicher. Klimagerechtigkeit betrifft die gesamte Menschheit. Ein friedliches Zusammenleben und das Vertrauen in gesellschaftliche und politische Systeme werden auf internationaler, ja sogar auf europäischer Ebene immer stärker von den weitreichenden Klimafolgen bedroht.

Der Qualität der Architektur und des Bauens kommt eine grundsätzliche Bedeutung zu. Erst ein Gebäude, das sich aufgrund seiner architektonischen Qualität über Jahrzehnte in der Nutzung bewährt und damit die derzeit wirtschaftlich kalkulierte Lebensdauer von 30 bis 50 Jahren bei weitem übersteigt, wird dem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht und ist im Sinne der Gesellschaft werthaltig.

Für die Umsetzung unserer Selbstverpflichtung brauchen wir ein gemeinsam von öffentlichen und privaten Bauherren, von Bauindustrie und Handwerk sowie von Bauindustrie und Wohnungswirtschaft getragenes Bekenntnis zu einem Umsteuern. Die Wahrung unserer Lebensgrundlagen darf nicht dem freien Spiel der Märkte anheimgestellt werden.

Postulate

I. Politisch denken und sich einmischen

Es ist genug. Täglich verstoßen wir, verstoßen Gesellschaft und Politik gegen den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Mit der westlichen Lebenseinstellung, alles jederzeit machen und haben zu können, ist es vorbei. Unser Leben muss sich an einem neuen, ökologisch vertretbaren Maß ausrichten.

Wir dürfen nicht länger warten, bis sich das von Lobbyisten beeinflusste Zögern und Abwarten ändert. Wir müssen politisch denken und handeln, müssen uns einmischen, Eigeninitiative entwickeln und zivilen Ungehorsam proben. Wir müssen zeigen, dass der tägliche Umweltwahnsinn, wie beispielsweise der ungebremste Flächenfraß, der Vorrang von Neubauten oder der Fetisch Mobilität, nicht alternativlos ist. Ansonsten brauchen wir über eine Zukunft nicht mehr nachzudenken. Wir sind dran.

II. Erzählungen für ein neues Zukunftsbild

Wir sind aufgefordert, ein ökologisch verantwortliches Leben zu imaginieren, zu ermöglichen und mitzugestalten. Mit Phantasie, mit kreativem und konzeptionellem Denken können Architekten und Stadtplaner ein motivierendes und begeisterndes Zukunftsbild entwerfen.

Damit ökologische Verhaltensweisen akzeptiert und praktiziert werden, müssen sie vorstellbar und erlebbar werden – sinnlich und wirklichkeitsnah. Architektur kann in Städten und Regionen ein starker Motivator für ein ökologisches Umdenken sein, das nicht als Verzicht, sondern als Gewinn sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft erfahrbar wird.

III. Achtung des Bestands

Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen. Priorität kommt dem Erhalt und dem materiellen wie konstruktiven Weiterbauen des Bestehenden zu und nicht dessen leichtfertigem Abriss. Die „graue Energie“, die vom Material über den Transport bis zur Konstruktion in Bestandsgebäuden steckt, wird ein wichtiger Maßstab zur energetischen Bewertung sowohl im Planungsprozess als auch in den gesetzlichen Regularien. Wir brauchen eine neue Kultur des Pflegens und Reparierens.

IV. Einfach intelligent

Die technische Aufrüstung zu „intelligenten Gebäuden“ und das Übermaß oftmals ökologisch fragwürdiger Dämmmaterialien führen nicht zu langlebigen und energetisch nachhaltigen Bauten.

Eine dem Klimawandel gerecht werdende Architektur nutzt und reguliert mit typologischen, konstruktiven und thermischen Strukturen die jeweiligen klimatischen Bedingungen für ein Wohlbefinden der Nutzer. Referenz können dabei tradierte regionale Bauweisen sein. Das Einfache ist letztlich übertechnisierten Konzepten überlegen.

V. Bauen als materielle Ressource

Alle zum Bauen benötigten Materialien müssen vollständig wiederverwendbar oder kompostierbar sein. Nur so kann die gigantische Menge an Verpackungen, Umverpackungen und Materialien im Bauprozess und für das Gebäude selbst reduziert werden.

Es gehört zum architektonischen Entwurf, Rezyklate im Neu- und Umbau mit einem gestalterischen Anspruch einzusetzen und zu erreichen, dass ganze Bauteile später selbst wieder zur Ressource werden. Verbunden ist damit ein ökologischer Anspruch an die Materialien und deren Verwendung.

VI. Vollständige Entkarbonisierung

Eine Entkarbonisierung erfordert einen Paradigmenwechsel im Material- und Energieeinsatz. Der Verzicht auf Materialien, die in ihrer Herstellung viel CO2 emittieren, tritt als wichtiges ökologisches Kriterium an die Stelle der Energieeffizienz.

Statt energieintensiv erzeugter Materialien wie Beton und Stahl liegt der Schwerpunkt auf natürlichen Materialien wie Stein, Holz und Lehm. Ebenso verlangt eine Entkarbonisierung den Einsatz emissionsfreier Baumaschinen im Bauprozess und eine CO2-neutrale Energieversorgung der Gebäude.

VII. Neue Mobilitätsformen

Mobilität ist nicht allein eine infrastrukturelle Aufgabe. Hier entscheidet sich, wie umweltverträglich wir uns bewegen und über welche Lebensqualität Städte verfügen. Mobilität muss als konzeptionelle und gestalterische Aufgabe von Architekten und Stadtplanern verstanden werden, um grundsätzlich ein ökologisch und klimatisch verträgliches Mobilitätsverhalten zu erreichen.

Die „Stadt der kurzen Wege“ weist als gültiges Leitmotiv einer gesamtheitlichen Entwicklung Fußgängern, Radfahrern und dem öffentlichen Nahverkehr eine Priorität gegenüber dem motorisierten Individualverkehr zu. In Verbindung mit attraktiven öffentlichen Räumen entstehen so wieder lebendige Städte. Ebenso ist der Zusammenhang zwischen Stadt und Region zu denken, der statt einer Zunahme des Verkehrs eine neue Infrastruktur schafft, die die Voraussetzung für neue Mobilitätsformen bildet.

VIII. Polyzentralität stärken

Die gewachsene Polyzentralität Deutschlands muss gestärkt werden, um das konjunkturinduzierte Wachstum der Städte einerseits und den rasant zunehmenden Pendlerverkehr andererseits zu begrenzen. Klein- und Mittelstädte sind dafür als Wohn- und Arbeitsorte mit hoher Lebensqualität in ihrem kulturellen und sozialen Angebot und ihrer wirtschaftlichen Basis zu festigen.

Städtebau und Architektur sind Bausteine für ein neues ökologisch orientiertes Verständnis von Gemeinschaft und Region und stützen so die Vielfalt von klimatisch verträglichen Lebensmöglichkeiten in Deutschland.

IX. Kultur des Experimentierens

Ideen und Vorschläge für klimagerechte Lebens- und Verhaltensweisen, mit denen wir nachfolgenden Generationen eine Zukunft auf der Erde bewahren können, waren noch nie so vielfältig wie heute.

Durch Experimentieren und Lernen, durch Navigieren und Korrigieren dieser Ideen entstehen Innovationen, die Angebote für einen ökologischen Verhaltenswandel auf unterschiedlichen Ebenen eröffnen. Dafür können dezentrale und miteinander vernetzte Reallabore als Katalysator wirken, in denen Architekten und Stadtplaner gemeinsam mit verschiedenen Akteuren experimentell an intelligenten und kollektiven Lösungen arbeiten.

X. Politische Versuchsräume

Neue Ideen brauchen angemessene politische Räume für ihre Erprobung. Experimentierklauseln im rechtlichen Rahmen schaffen den nötigen Freiraum für Innovationen und für die Anpassung von politischen Regulierungen an neue Entwicklungen. Insofern sind solche Experimentierräume ein wichtiger Pfeiler für eine zeitgemäße, dem Nachhaltigkeitsgedanken verpflichtete Politik und Verwaltung.

Perspektiven

Architektinnen und Architekten, Stadtplanerinnen und Stadtplaner arbeiten kreativ und gestalterisch. Gute Gestaltung wird dabei zu einem sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck für das neue Verantwortungsgefühl, das die Bauten sichtbar vertreten. Den Zukunftsglauben an eine nachhaltige Entwicklung können wir stärken, indem wir zeigen, dass durch kreatives Unterlassen und Reduzieren neue Lebenswelten entstehen. Ein konzeptionelles Weiterdenken des bereits Vorhandenen in unseren Städten und Regionen wird dann zu einem wichtigen Teil des gesellschaftlichen Narrativs, das nicht moralisiert, sondern den Gewinn der ökologischen Wende betont. Dafür müssen wir die Chancen neuer Tätigkeitsfelder aufnehmen und uns komplexeren Prozessen stellen.

Auf dem 15. BDA-Tag am 25. Mai 2019 in Halle / Saale beschlossen.

„Planet Home“:  This manifesto in English translation

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